Autor | Institution |
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Dominik Brunner | Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und molekulare Sensorik, Arbeitsgruppe Wassertechnologie, TUM |
Dr. Karl Glas | Lehrstuhl für Lebensmittelchemie und molekulare Sensorik, Arbeitsgruppe Wassertechnologie, TUM |
Datum | 20. August 2020 |
Ausgabe | 3 |
Jahrgang | 88 |
Seitenzahl | 99-101 |
Die Endlichkeit fossiler Brennstoffe und die Zunahme an Abfallströmen gehören neben der Klimaproblematik zu den Alltagsproblemen des 21. Jahrhunderts. An Konzepten zur regenerativen Energiebereitstellung wird seit über 20 Jahren geforscht: Klassische Ansätze wie Solar-, Wind- und Wasserkraft sowie diverse Bioenergiekonzepte sind bereits seit mindestens zehn Jahren in der gesellschaftlichen Energieversorgung integriert. Im Zuge dessen stellen sich immer wieder Fragen nach der Sinnhaftigkeit solcher Technologien – sowohl in isolierter Betrachtung als auch im direkten Vergleich. Hierfür ist eine Differenzierung hinsichtlich der Problemstellung, Zielsetzung und Limitation dieser Technologien essenziell.
Konzeptvergleich
Betrachtet man beispielsweise Wind- und Solarkraft, dann kann als Problemstellung die Abhängigkeit der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen definiert werden; als Zielsetzung ergibt sich die Nutzung von quasi unendlichen und größtenteils ungenutzten Energieformen.
Limitiert werden Wind- und Solarkraft weniger durch die Technologie als solches; hier nimmt die Speicherproblematik elektrischer Energie eine zentrale Rolle ein. Es existieren keine Möglichkeiten zur direkten Speicherung elektrischer Energie in großen Mengen; im Regelfall wird indirekt gespeichert. Dazu wird die elektrische Energie in Form von chemischer oder mechanischer Energie umgewandelt. Jedoch gilt als Faustregel, dass jeder Umwandlungsschritt einen Energieverlust mit sich zieht. Die Speicherproblematik ist deshalb so kontextual relevant, da Wind- und Solarkraft abhängig von Tages- und Jahreszeit stark fluktuieren. Leider sind diese Fluktuationen meist nur schwer vorhersehbar oder konträr mit dem gesellschaftlichen Energiebedarf. Demnach wird oft ein starker Überschuss an Energie zu Tages- und Jahreszeiten generiert, an denen diese gar nicht akut benötigt wird. Eine Lösung für dieses Problem wäre die volle Umstrukturierung und intelligente Vernetzung des europäischen Energienetzes. Ein solches Supergrid erfordert jedoch ein hohes Maß an politischen und wirtschaftlichen Interessensausgleich und zieht internationale Abhängigkeitsverhältnisse mit sich.
Betrachtet man nun die Anaerobtechnik als Beispiel für ein etabliertes Bioenergiekonzept, so ist ein Vergleich mit den obigen Technologien nicht zielführend. Dies liegt an der unterschiedlichen Problemstellung und Zielsetzung. Die Anaerobtechnik widmet sich nur indirekt der Abhängigkeitsproblematik fossiler Rohstoffe. Vielmehr steht die Betrachtung von Abwasser- und Abfallströmen als energetisch verwertbare Ressource im Vordergrund. Des Weiteren stecken rechtliche Grenzwerte einen klaren Rahmen für Abfall- und Abwasserbehandlung. Um das Forschungspotential und die Limitationen dieser Technologie erläutern zu können, wird an dieser Stelle kurz auf die theoretischen Grundlagen und die verschiedenen Konzeptderivate eingegangen.
Die Theorie
Unter dem Oberbegriff Anaerobtechnik sind verschiedene Konzepte und Terminologien zusammengefasst. Neben den bekannteren Begriffen, wie der Biogasanlage oder der anaeroben Abwasserbehandlung, existieren weitere Konzepte wie die dunkle Fermentation, die anaerobe Ko-Vergärung, die mikrobielle Elektrolysezelle und die mikrobielle Brennstoffzelle. Ausgangspunkt aller dieser Technologien ist die anaerobe Nahrungskette: Ein Konsortium aus syntrophischen Mikroorganismen, die hinsichtlich ihres Stoffwechsels in vier Gruppen kategorisiert sind: hydrolytische, acidogene, acetogene und methanogene Phase. Zusammen katalysieren sie die Umwandlung organischer Polymere in anorganische Moleküle wie Methan und Kohlenstoffdioxid. Die chemische Energie, die im Methan und Wasserstoff gebunden ist, kann durch Verbrennung in thermische und elektrische Energie umgewandelt werden. Gleichung 1 zeigt die Nettoreaktion der anaeroben Nahrungskette:
Jede der vier Gruppen katalysiert einen Teilschritt des Reaktionsnetzwerks, in dem die Stoffwechselprodukte der einen Gruppe als Substrat der Folgegruppe dienen. Jedoch unterscheiden sich die Mikroorganismen hinsichtlich ihrer optimalen Wachstumsbedingungen sowohl zwischen als auch innerhalb der Gruppen. Für die meisten Anwendungsfälle ist die Wachstums- und Produktbildungsrate der Methanogene limitierend für den Gesamtprozess.
Limitationen
Aufgrund der Heterogenität der Mikroorganismen entstehen erhebliche Herausforderungen in der Prozesssteuerung und Prozessoptimierung. Die quantitative Information über die Biomassenkonzentration und deren zeitlicher Verlauf stellt eine zentrale Steuergröße in der Bioprozesstechnik dar. Klassische Methoden zur Quantifizierung der Biomasse sind in der Anaerobtechnik nicht anwendbar, da weder mit Monokulturen gearbeitet wird, noch alle Feststoffe gelöst vorliegen. Es existieren Alternativen, die jedoch durch ihre hohen Kosten ökonomisch uninteressant sind und nur teilweise in der Forschung Anwendung finden.
Weitere Probleme ergeben sich im Kontext des respektiven Anwendungsgebietes: Lebensmittelabfälle, Lignocellulose (Pflanzenreste) und Abwasser. Lebensmittelabfälle unterliegen oft großen Schwankungen in der Nährstoffzusammensetzung. Suboptimale Nährstoffverhältnisse bedingen Ungleichgewichte in der Nahrungskette, was die Akkumulation metabolischer Intermediate zur Folge haben kann. Reichern sich so organische Säuren an, sind diese in protonierter Form (pH < pKs) toxisch für die Mikroorganismen. Dementsprechend werden Anlagen, die Lebensmittelreste verarbeiten, auf Stabilität und weniger auf Leistung ausgelegt. Lignocellulose besitzt eine hohe Resistenz gegenüber enzymatischem Abbau. Außerdem ergeben sich abhängig von Faserart und -länge Mischungen mit großem Wasserbindevermögen und schlechten rheologischen Eigenschaften. Dies hat einen schlechten Gasaustrag aus Flüssigphase und Totraumvolumina zur Folge. Im Kontext der Abwasserhandlung schränken rechtliche Grenzwerte und die vergleichsweise geringe Nährstoffkonzentration von Abwässern den Wertebereich der Prozessparameter stark ein. Die hydraulische Verweilzeit des Abwassers ist meist so gewählt, dass sie kürzer als die Wachstumsrate der Methanognene ist. Hierdurch ergeben sich spezielle Anforderungen zur Retention der Mikroorganismen im Reaktor.
Lösungsstrategien
Zur Lösung obiger Problematiken wurden verschiedene Prozessmodifikationen entwickelt. Die anaerobe Ko-Vergärung (ACoD) beinhaltet den Ausgleich ungünstiger Nährstoffverhältnisse durch gezielte Vermischung von Substratquellen und ist bereits in Forschung und Praxis etabliert. Die Zwei-Stufen-Anaerobtechnik (2S-AD) ist eine Strategie zur physikalischen Trennung der Methanogenese vom Rest der Nahrungskette. Dazu werden zwei Reaktoren in Serie geschalten und Umweltfaktoren und hydraulische Verweilzeit auf die respektiven Wachstumsoptima angepasst. Die 2S-AD ist dann sinnvoll, wenn die Wachstumsrate der Methanogene streng limitierend für den Gesamtprozess ist. Von Nachteil sind erhöhte Betriebs- und Investitionskosten der Anlage.
Die mikrobielle Brennstoffzelle (MFC) und mikrobielle Elektrolysezelle (MEC) sind im weitesten Sinne Konzeptderivate der Anaerobtechnik, stellen jedoch eine eigenständige Technologie dar. Grundlage von MFC und MEC ist die selektive Kultivierung von Mikroorganismen mit exoelektrogenen Eigenschaften. Im chemischen Kontext stellt das Stoffwechselnetzwerk der anaeroben Nahrungskette eine intern balancierte Redoxreaktion dar. Exoelektrogene Organismen nutzen kein Oxidationsmittel als terminalen Elektronenakzeptor, sondern geben die überschüssigen Elektronen mittels Elektronen-Shuttle oder Mediatoren extrazellulär ab. Die Nettoreaktion dieser Organismen ist in Gleichung 2 für das Modellsubstrat Acetat beschrieben:
Zur Nutzung der produzierten Elektronen wird der Reaktor räumlich durch eine semipermeable Membran in Anoden- und Kathodenkammer getrennt. Die exoelektrogenen Bakterien geben ihre Elektronen an die Anode ab, welche über einen externen Stromkreislauf mit der Kathode verbunden ist. Die Wasserstoffprotonen diffundieren durch die Membran in die Kathodenkammer. Durch Einspeisung von Sauerstoff (O2) in die Kathodenkammer entsteht an der Oberfläche der Kathode eine weitere Redoxreaktion; die Reduzierung des Sauerstoffs zu Wasser. Dadurch ergibt sich eine Potentialdifferenz zwischen Anode und Kathode, die in Form von elektrischer Energie genutzt werden kann. Da elektrische Energie produziert wird, entstehen keine Umwandlungsverluste. Dadurch hat die MFC Potential in der innerbetrieblichen Abwasserbehandlung. Denn hier bestünde kein Speicherbedarf und der Strom könnte direkt den Betrieb der Anlage ergänzen.
Die mikrobielle Elektrolysezelle folgt grundsätzlich demselben Prinzip und Reaktordesign. Jedoch wird der externe Stromkreislauf zusätzlich mit Spannung versorgt und die Kathodenkammer anoxisch gehalten. Die supplementäre Spannung wird zur Reduktion der Wasserstoffprotonen zu H2 genutzt. Die Energie wird also in chemischer statt elektrischer Form produziert. Grundsätzlich ist die Sinnhaftigkeit der MEC an den Forschungsfortschritt der Wasserstoffspeicherung gekoppelt und wird sich erst in Zukunft vollständig evaluieren lassen.
Es besteht derzeit noch viel Forschungsbedarf im Bereich MFC/MEC. Aktuelle Fragestellungen sind unter anderem die Skalierbarkeit des Konzeptes auf größere Maßstäbe. Hierzu wird in der AG Wassertechnologie im Rahmen der Forschungsprojekte RAMBo (Raman-basierte Methoden zur Biofilm-Charakterisierung für eine effiziente Abwasserreinigung mittels mikrobieller Brennstoffzellen) und I_habS (Intelligente, hybride, autarke, bioelektrische Systeme zur Energie- und Mediengewinnung in der Brauindustrie) an serieller und paralleler Verschaltung mehrerer Zellen geforscht.
Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Daten
Grundsätzlich ist der Vergleich von Daten verschiedener Forschungen die Basis für inter- und intratechnologische Evaluierung. Im Idealfall kann durch direkten Vergleich der Daten Rückschluss auf den Einfluss der einzelnen Faktoren und Faktorwechselwirkungen gezogen werden. Im Kontext der Anaerobtechnik kann dies der Einfluss der Substratquelle, des Reaktorkonzepts und Geometrie, der Umweltfaktoren und Prozessparameter auf den Ertrag sein. Jedoch führt die Heterogenität der Versuchsbedingungen zu einer unbekannten Vermengung der Einflüsse einzelner Faktoren. Es kann beispielsweise nicht ermittelt werden, ob eine Differenz in der Produktbildung zweier Datensätze durch einen Unterschied in der enzymatischen Aktivität des Inokulums, der Reaktorgeometrie, der Umweltfaktoren oder der Prozessparameter bedingt ist.
Ein aussagekräftiger Vergleich von Forschungsdaten ist nur auf energetischer Basis möglich. Dies setzt eine einheitliche Substratcharakterisierung und Ertragsdarstellung sowie die Bilanzierung aller Massen- und Energieströme voraus. Da der Betrag einzelner Energieströme mit der Skalierung nicht zwingend im linearen Zusammenhang steht und sich die Art der Skalierung zwischen den einzelnen Reaktorkonzepten unterscheiden kann, ist eine komparative Bewertung von Konzepten auf Datenbasis erst ab dem Pilotmaßstab möglich. Dazu ist eine vollständige techno-ökonomische Analyse in Anbetracht der Rahmenbedingungen notwendig.
Um dennoch Informationen aus dem Vergleich wissenschaftlicher Daten generieren zu können, muss ein theoretischer Benchmark etabliert werden. Hierzu wird der theoretisch maximale Ertrag der einzelnen Stoffwechselwege pro Mol Glucose bilanziert und mit Hilfe von Heizwerten die Stoffmengen der Produkte in die Energieskala transformiert. Man erhält die maximalen theoretischen Energieerträge der respektiven Technologie in Relation zum molaren Glucose-Verbrauch. Des Weiteren kann eine gängige energetische Charakterisierung von Abwässern und Abfällen genutzt werden: der chemische Sauerstoffbedarf (COD). Dieser basiert auf der Netto-Elektronenbilanz einer vollständigen Oxidation durch Sauerstoff. Dadurch ergeben sich theoretische Benchmarks maximaler Energierückgewinnung in der Form kJ (COD)-1. Stellt man die Daten nun in Relation zu den Benchmarks, kann der Forschungsstand und das Potential einer Technologie anhand des theoretischen Maximums bewertet werden. Tabelle 1 zeigt diese Darstellung der Daten für ausgewählte Veröffentlichungen aus der Anaerobtechnik.
Zusammenfassend ist die Vergleichbarkeit wissenschaftlicher Daten im Labormaßstab weder gegeben noch zielführend. Vielmehr ist es sinnvoll den Stand der Forschung mittels der theoretisch maximalen Erträge zu evaluieren und bis zum Pilotmaßstab zu forschen, damit ein Vergleich mittels techno-ökonomischer Analyse durchgeführt werden kann.
Literatur
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