Autor | Institution |
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Simone Kefer | Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie, TUM |
Datum | 04. Juni 2020 |
Ausgabe | 2 |
Jahrgang | 88 |
Seitenzahl | 77-78 |
Mikroplastik, erstmals in den 1970er Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten beobachtet [1-4] und lange von dringlicheren Problemen überschattet, ist nach wie vor Gegenstand vielfältiger Forschung und rückt in den letzten Jahren vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit. Dabei werden häufig Forschungsergebnisse mit reißerischen Schlagzeilen und Artikeln hochgespielt und das eigentliche Ziel, fundiert zu informieren, aus den Augen verloren. Gerade wegen der Sorgen des Verbrauchers und der Gefahr der Missinformation ist es wichtig, sowohl Probleme als auch Ergebnisse klar und neutral zu kommunizieren. Dies beginnt bei der einfachen Frage, was Mikroplastik eigentlich ist, und geht über zu den weniger einfachen Fragen, wie es entsteht und welche Gefahren konkret für Umwelt und Mensch bestehen. Dass letztere Frage äußerst komplex ist, erkennt man an der seit Jahren wachsenden Anzahl an Studien, die nach wie vor noch nicht das gesamte Themengebiet abgedeckt haben.
Gibt es fundierte Forschung und sind die Verbraucher informiert, kann auch die Industrie gezielter auf eventuelle Nachfragen oder Kundensorgen reagieren. Vor zwei Jahren wurde bereits ein Artikel über Mikroplastik in „Der Weihenstephaner“ (Nr. 2, 2018) [5] veröffentlicht, an den dieser aktuelle Bericht angelehnt wird.
Eintragswege in die Umwelt
Wie im vorigen Artikel [5] bereits ausgeführt, wird Mikroplastik in zwei Kategorien klassifiziert. Primäres Mikroplastik sind Partikel, die als Mikroplastik in das jeweilige Ökosystem eingetragen werden, wohingegen sekundäres Mikroplastik alle Partikel bezeichnet, die durch mechanischen, physikalischen oder chemischen Zerfall im Ökosystem entstehen [6]. Da kein Kunststoff zu 100 Prozent rein und fehlerfrei ist, können auch die chemisch stabilsten unter ihnen angegriffen werden und irgendwann zerfallen. Additive können dies sowohl verhindern als auch beschleunigen [7]. Die Ursprünge der Freisetzung von Mikroplastik, wohl eine der grundlegendsten Fragen in diesem Themengebiet, ist gleichzeitig auch eine, deren Antwort am wenigsten bekannt ist.
Da bei jeder Verwendung von Kunststoffen Mikroplastik entstehen kann, auch durch Abrieb von Schuhsohlen oder beim Kauen auf einem Kugelschreiber, ist es nicht möglich, jede einzelne Quelle zu versiegeln; ganz sicher jedoch lässt sich der Mikroplastikeintrag verringern, wenn die Eintragungswege bekannt sind. Abgesehen von mikroplastikhaltigen Cremes und Kosmetika jeglicher Art, trägt auch die Verwitterung mikroplastikhaltiger Farben und Lacke primäre Partikel in die Umwelt ein. Auf Baustellen entstehen sowohl beim Abriss als auch beim Aufbau Partikel, ebenso bei der Benutzung von Rohrleitungen, Bojen und Fischernetzen.
Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, Oberhausen, hat 2018 eine äußerst detaillierte Liste zu Eintragspfaden veröffentlicht, die insgesamt 74 verschiedene Quellen beschreibt [8], ein kurzer Auszug ist in Tabelle 1 zu sehen.
Mikroplastik als Schadstoffträger
Im Zuge des Projektes Mikropartikel in der aquatischen Umwelt und in Lebensmitteln (MiPAq) der TU München wird unter anderem untersucht, inwieweit Mikroplastik Schadstoffe wie Pestizide, Insektizide, Arzneiwirkstoffe, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs) oder Lösungsmittel aufnehmen, transportieren und möglicherweise im Lebewesen wieder abgeben können. Dies gilt auch für bereits im Kunststoff enthaltene Additive.
Dazu werden die Aufnahmegeschwindigkeiten und -mengen verschiedener repräsentativer Schadstoffe in Wasser an einem breiten Spektrum von Kunststoffen zu verschiedenen Temperaturen genau gemessen. Die verwendeten Partikel werden speziell zu Forschungszwecken mithilfe einer Zentrifugalmühle hergestellt, damit sie den Partikeln in der Umwelt so ähnlich wie möglich sind. Mit den so erhaltenen Daten wird ein Modell gebildet, das Vorhersagen zum Aufnahme- und Abgabeverhalten von nicht explizit gemessenen Kunststoffen und Kontaminanten treffen soll.
Tabelle 2 zeigt die Sorptionskoeffizienten der drei verwendeten Schadstoffe, ein Insektizid, ein Polymeradditiv und ein PAK, in drei exemplarisch verwendeten Polymeren. Diese Koeffizienten werden durch das Verhältnis cK/cW aus den Konzentrationen des Schadstoffs gebildet, die sich im Gleichgewicht im Kunststoff (cK) und im Wasser (cW) einstellen. Die angegebenen Daten, sowohl aus eigener Forschung als auch Näherungswerte der LSER-Datenbank des Helmholtz-Zentrums, zeigen, dass die persistenten Schadstoffe Nonylphenol und Phenanthren 1000–30000-mal affiner zu den Kunststoffen sind als zu Wasser, was bedeutet, dass Kunststoffe nicht nur große Mengen dieser Stoffe aufnehmen können, sondern auch nur schwer wieder abgeben.
Das Insektizid Imidacloprid hingegen ist weitaus affiner zu Wasser als zu den Kunststoffen, zerfällt im Sonnenlicht allerdings innerhalb einiger Tage und hält sich im Boden für mehrere Monate. Obwohl noch keine Versuche im Magen- oder Darmmilieu durchgeführt wurden, ist es unwahrscheinlich, dass eventuelle Schadstoffe in diesen wässrigen Umgebungen aus den Partikeln austreten.
Mikropartikelfreisetzung im Abfüllprozess
Da Mikroplastik überall verbreitet ist und sich auch in der Luft befindet, ist es nicht möglich, es wieder restlos aus der Umwelt zu entfernen. Wie oben erwähnt, kann bei jeglicher Nutzung von Kunststoffen Mikroplastik entstehen, weshalb in verschiedenen Mineralwässern bereits Mikropartikel gefunden wurden [10]. Dies legt nahe, dass sich Mikropartikel auch in anderen abgefüllten Getränken befinden. So wurde bereits am Flaschenkellerseminar der TU München 2018 gezeigt, dass sich verschiedene Kunststoffpartikel in Bier finden lassen [11]. Neben Etikettenresten konnten auch Compoundmasse, Kronkorkenlack, Kunststofffasern und Partikel von Multilayerflaschen gefunden werden. Hier ist besonders die Kunststofffaser interessant, denn die Etikettenreste und Flaschenpartikel können aus der Reinigungsmaschine aufgenommen worden sein und die Kronkorkenbestandteile sind wahrscheinlich auf den Verschließer zurückzuführen, doch die Faser wurde von außerhalb eingebracht (Abb. 1, Artikelbild oben).
Reduzierung der Mikropartikelfreisetzung im Abfüllprozess ist im Sinne der Betriebshygiene definitiv ein wichtiger Punkt; sie liegt allerdings auch innerhalb der Handlungsoptionen des jeweiligen Betriebes. Die gefundene Faser zeigt, dass beliebige Partikel durch die Luft in die Flaschen gelangen können, möglicherweise auch in Größen unterhalb der Nachweisgrenze.
So könnten auch Partikel in die Abfüllanlage gelangen, die schädliche Additive oder andere oben genannte Substanzen aufgenommen haben. Auch deshalb ist es wichtig, das Aufnahme- und Abgabeverhalten von Kunststoffen zu untersuchen. Ein einzelner Partikel trägt höchstwahrscheinlich nicht genügend Schadstoff in sich, um Konsumenten gesundheitlich zu belasten, doch mit fortschreitender Freisetzung und Verbreitung von Mikropartikeln steigt auch die tägliche Aufnahmemenge, wodurch eine Beeinträchtigung wahrscheinlicher wird. Allerdings müsste die tägliche Partikelaufnahme bei mindestens 5 mg/kg Körpergewicht liegen, wie die Berechnungen von Franz & Welle (2018) gezeigt haben [12].
MiPAq-Forschung für neue Handlungsansätze
Im Zuge des erwähnten MiPAq-Projektes wurden einige Versuche gestartet, konkret die Mikropartikelfreisetzung im Verpackungsprozess zu untersuchen. Dabei wird sowohl auf die Entstehung von Partikeln und deren Anlagerung an die Folienoberfläche im Bereich der Folienherstellung als auch der Partikelübergang beim Verpacken in das Produkt geachtet. Dies geschieht sowohl mit fester als auch flüssiger Nahrung und wird interessante Erkenntnisse bringen, an welchen Punkten eine Verringerung der Freisetzung angesetzt werden kann. Darüber hinaus wird eine Prozessanalyse auf Mikropartikel bei diversen Mineralbrunnen durchgeführt, um genau festzustellen, an welchen Punkten im Abfüllprozess Mikropartikel eingetragen werden. Dies alles hilft dabei, das Verständnis des Mikroplastikproblems zu verbessern und gibt sowohl Verbrauchern als auch Industrie neue Handlungsansätze.
Literatur
1. Buchanan, J. B.: „Pollution by synthetic fibres“; in: Marine Pollution Bulletin 2 (1971), Heft 2, S. 23.
2. Rothstein, S. I.: „Plastic particle pollution of the surface of the Atlantic Ocean: evidence from a seabird“; in: The Condor 75 (1973), Heft 3, S. 344–345.
3. Hays, H.; Cormons, G.: „Plastic particles found in tern pellets, on coastal beaches and at factory sites“; in: Marine Pollution Bulletin 5 (1974), Heft 3, S. 44–46.
4. Colton, J. B.; Knapp, F. D.; Burns, B. R.: „Plastic Particles in Surface Waters of the Northwestern Atlantic“; in: Science 185 (1974), Heft 4150, S. 491–497.
5. Weißer, J.; Mödinger, M.; Glas, K.: „Mikroplastik: Bedrohung der Umwelt und unserer Lebensmittel?“; in: Der Weihenstephaner 86 (2018), Nr. 2, S. 82–84 [zum Download auch unter: www.vew-brauer.de]
6. Wright, S. L.; Thompson, R. C.; Galloway, T. S.: „The physical impacts of microplastics on marine organisms: a review“; in: Environmental pollution 178 (2013), S. 483–492.
7. Soitong, T.; Wongsaenmai, S.: „Photo-Oxidative Degradation Polyethylene Containing Titanium Dioxide and Poly (Ethylene Oxide)“; in: Key Engineering Materials 751 (2017), S. 796–800.
8. Bertling, J.; Bertling, R.; Hamann, L.: Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik. Ursachen, Mengen, Umweltschicksale, Wirkungen, Lösungsansätze, Empfehlungen: Kurzfassung der Konsortialstudie; Fraunhofer UMSICHT (Hrsg.), Oberhausen, 2018.
9. Goss, K.; Ulrich, N.: UFZ-LSER Datenbank: Berechnung von Verteilungskoeffizienten (https://www.ufz.de/index.phpde=31698&contentonly=1&m=0&lserd_data[mvc]=Public/start; [Abruf 8.5.2020].
10. Schymanski, D., et al.: „Analysis of microplastics in water by micro-Raman spectroscopy: Release of plastic particles from different packaging into mineral water“; in: Water research 129 (2018), S. 154–162.
11. Gastl, M.; Hoi, K.; Becker, T.: Mikroplastik im abgefüllten Getränk – Risiken, Nachweis und Befundlage; Freising, Deutschland, 4.12.2018.
12. Welle, F.; Franz, R.: „Microplastic in bottled natural mineral water – literature review and considerations on exposure and risk assessment“; in Food Additives & Contaminants: Part A 35 (2018), Heft 12, S. 2482–2492.
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Mikroplastikpartikel in der Umwelt - Relevanz für die Getränkebranche | Download |